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Per Anhalter um die Welt (German)

This article was first published HERE (Yeaz-Magazine)  in German. This is just republished. All rights belong to Yaez Magazine.

 

Per Anhalter um die Welt

 

Während seine Mitschüler nach dem Abi mit Studium und Ausbildung beginnen, sucht Marius das Abenteuer. Ohne Flugzeug reist er über Russland, Iran, Pakistan, Indien und Thailand nach Australien.

 

Was ist dein Plan für nächstes Jahr? Mit dieser Frage fing alles an. Es war ein Abend im September des vergangenen Jahres, nur noch wenige Monate trennten meine Freunde und mich von unserem Abitur. Wie so häufig saßen wir bei mir zu Hause auf dem Dachboden mit ein paar Leuten zusammen und sprachen über unsere Zukunftspläne .

 

Die meisten meiner Klassenkameraden hatten sich bereits für ein Studienfach entschieden, einige würden eine Ausbildung machen. Nur die wenigsten hatten vor Deutschland für längere Zeit zu verlassen. 

Anders sah es bei meinem Freund Lars aus. Er hatte bereits im Jahr zuvor Abitur gemacht und anschließend ein Freiwilliges Soziales Jahr an einer Grundschule absolviert. Nun wollte er das tun, was schon lange sein Ziel war: Ein Work-and-Travel-Aufenthalt in Australien. Der geplante Start war im März 2019. Genau der Monat, in dem ich mein Abiturzeugnis überreicht bekommen würde.

Auch ich hatte für die Zeit danach einen Traum: Über Land von Deutschland nach Indien zu reisen. Vor ein paar Jahren hatte ich aus Zufall eine junge Frau getroffen, die genau das gemacht hatte und wurde Idee seitdem nicht mehr los.

An dem Abend, bei mir auf dem Dachboden, schien dann plötzlich alles ganz klar: Wir wollten beide zur selben Zeit reisen, für eine lange Zeit, hatten beide noch keinen Partner. Warum sollten wir uns nicht zusammentun? Über Land von Deutschland nach Indien, dann weiter über Südostasien nach Australien und von dort- warum nicht gleich um die ganze Welt? Möglichst ohne viel Geld und ohne ein einziges Flugzeug zu benutzen.

 

Der Plan stand also, die Vorbereitungen – mussten noch ein wenig warten. Die Abreise sollte erst in einem halben Jahr erfolgen und war somit noch gefühlt Lichtjahre entfernt. Zudem war ich aufgrund des Abiturs bis Ende Januar erst einmal mit meinen Gedanken ganz woanders. Wir trafen uns zwar jede Woche, um die Reise zu planen, doch diese Vorbereitung bestand zunächst nur aus dem Anschauen von Dokus über Russland, Iran und Pakistan. Mehr ins Detail gingen wir vorerst nicht, denn es gab einen anderen Punkt, den wir zuerst erledigen mussten: Unsere Familien und Freunde auf die Reise vorbereiten, denn es sollte keine typische kurze Auszeit nach dem Abitur werden, wie es so viele machen; wir redeten vielmehr von drei Jahren. Das meinen Eltern zu erklären, die nach wie vor glaubten, dass ich mich gleich der Schule für Politik, Medizin oder Jura einschreiben würde, war eine große Herausforderung. 

 

Geholfen hat vor allem die Tatsache, dass ich meiner Entscheidung sehr sicher war: ich wollte auf keinen Fall direkt mit einem herkömmlichen Studium beginnen. Begibt man sich nahtlos von der Schulbank in den Vorlesungssaal, ist der Einstieg in die Arbeitswelt auch nicht mehr fern. Und ob man sich dann noch für eine mehrjährige Weltreise entscheidet, wenn man einen festen Job, eine Wohnung und vielleicht Familie hat, das bezweifle ich. Diese Zeit, die vor mir lag, war demnach die vielleicht die letzte große Freiheit, die ich in meinem Leben haben würde.

 

Die eigentliche Vorbereitung begannen, nachdem unsere Eltern verstanden hatten, dass es uns ernst war. Rückblickend haben wir mit allem viel zu spät angefangen und waren bei weitem nicht gut genug organisiert. Visa beantragen, impfen lassen und Equipment zusammenstellen geschah mehr auf den letzten Drücker. Selbst für unserer Reiseart haben wir uns erst kurzfristig entschieden. Als wir feststellen mussten, dass Lars alten Polo bis nach Indien zu fahren doch schwieriger werden würde als erwartet, haben wir uns einen Monat vor Abreise dazu entschieden, die gesamte Strecke per Anhalter zu fahren. In jeder Hinsicht war das die vielleicht beste Entscheidung meines Lebens. Nicht nur aus dem Grund, dass Lars‘ Polo ironischerweise 2 Wochen vor Abreise den Geist aufgegeben hat, sondern weil uns dieser Reisestil bis jetzt die unglaublichsten Erfahrungen gebracht hat und nebenbei viel ökologischer und günstiger ist. Viereinhalb Monate nach Abreise ist es wahrscheinlich das, was mich bisher am meisten beeindruckt hat: die unglaublich gastfreundschaftlichen Menschen, die man beim Trampen trifft; die intensiven Einblicke, die man so in die Kultur eines Lands bekommt. Für nichts in der Welt würde ich diesen Reisestil heute eintauschen. Jeden Tag bringt die Reise uns an unsere Grenzen, im positiven Sinne. Die Komfortzone endet am Tellerrand, sagt ein schönes Sprichwort.

 

Mitte Juni, mehr als ein halbes Jahr nach der Party auf dem Dachboden, bei der Lars und ich spontan beschlossen hatten, gemeinsam in die Welt hinauszuziehen, war es soweit: Nach einer unglaublichen Abschiedsfeier mit all unseren Freunden und einem tränenreichen Abschied von unseren Familien, setzten wie uns in das Auto einer Freundin, die uns bis nach Jena in Thüringen brachte. Von dort aus trampten wir los, Richtung Osten. Unser erstes Ziel war Berlin, wo wir unser Visum für Pakistan abholen mussten, weiter sollte es dann über Polen in die Ukraine und nach Russland gehen. Das Abenteuer hatte begonnen.

 

Momentan (November 2019) befinden wir uns schon im Osten Pakistans. Im Norden des Landes finden gerade große Proteste gegen die Regierung statt, von Zeit zu Zeit wird das Internet landesweit außer Kraft gesetzt. Während das Familie und Freunden zuhause natürlich Sorge bereitet, kriegen wir davon nichts mit und bekommen tiefe Einblicke in die Kultur eines bisher wenig bereisten Landes.

 

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